Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung der Französischen
Republik über das Statut der Saar
Die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und
Die Regierung der
Französischen Republik, die letztere,
nachdem sie die Saarländische Regierung
konsultiert und nachdem sie deren Zustimmung
erlangt hat,
sind in dem Bestreben,
die saarländische Wirtschaft in weitestem
Umfang zu entwickeln und jeden Anlass zu
Streitigkeiten in den gegenseitigen Beziehungen
zu beseitigen, über folgende Grundsätze
einig geworden, die die Grundlage einer
Lösung der Saarfrage bilden werden.
I.
Ziel der ins Auge
gefassten Lösung ist es, der Saar im
Rahmen der Westeuropäischen Union ein
europäisches Statut zu geben. Nachdem
dieses Statut im Wege der Volksabstimmung
gebilligt worden ist, kann es bis zum Abschluss
eines Friedensvertrages nicht mehr in Frage
gestellt werden.
II.
Ein europäischer
Kommissar nimmt die Vertretung der Saarinteressen
auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten
und der Verteidigung wahr. Der Kommissar
überwacht ferner die Beachtung des
Statuts. Der Kommissar wird vom Ministerrat
der Westeuropäischen Union ernannt.
Er ist diesem Rat verantwortlich. Der Kommissar
darf weder Franzose noch Deutscher noch
Saarländer sein. Bei der Mehrheit,
mit der er ernannt wird, müssen sich
die Stimmen Frankreichs und der Bundesrepublik
Deutschland befinden; auch die Zustimmung
der Saar ist erforderlich.
Der Kommissar unterbreitet
jährlich dem Ministerrat einen Rechenschaftsbericht,
der von diesem der Versammlung der Westeuropäischen
Union zugeleitet wird.
Soweit der Ministerrat
in Bezug auf das Saarstatut Aufgaben zu
erfüllen hat, entscheidet er mit einfacher
Mehrheit.
III.
Die beiden Regierungen
werden den anderen beteiligten europäischen
Regierungen vorschlagen, die Wahrnehmung
der Interessen der Saar bei den europäischen
Organisationen folgendermaßen zu regeln:
a) EUROPARAT: 1)
Ministerkomitee: Der Kommissar nimmt
an den Sitzungen mit beratender Stimme teil.
2) Beratende
Versammlung: Saarländische Vertretung
unverändert.
b) MONTANGEMEINSCHAFT:
1) Besonderer
Ministerrat: - wenn
die Außenminister tagen, wird die
Saar durch den Kommissar vertreten;
- wenn andere Minister
tagen, wird die Saar mit Stimmrecht durch
ihren zuständigen Minister vertreten.
2) Gemeinsame
Versammlung: drei Abgeordnete werden vom Saarlandtag
gewählt. Die französische Vertretung bleibt
zahlenmäßig
den Vertretungen Italiens und der Bundesrepublik Deutschland gleich,
wie es in Artikel 21 des Vertrages über
die Gründung der Montangemeinschaft vorgesehen ist,
c) WESTEUROPÄISCHE
UNION: 1)
Ministerrat: Der Kommissar nimmt an den Sitzungen
mit beratender Stimme teil. 2) Parlamentarische
Vertretung:
Die Versammlung der Westeuropäischen
Union umfasst die saarländischen Delegierten zur
Beratenden Versammlung des Europarates.
IV.
Die beiden Regierungen
werden vorschlagen, dass die Teilnahme der
Saar an der europäischen Verteidigung
durch einen im Rahmen der Westeuropäischen
Union geschlossenen Vertrag festgelegt wird,
und dass in Fragen, die die Saar betreffen,
SACEUR stets in enger Zusammenarbeit
mit dem Kommissar handelt.
(SACEUR =
Supreme Allied Commander EURope, der Oberkommandierende
des NATO-Hauptquartiers Europa;
damals hatte General Alfred M. Gruenther
aus den USA dieses Amt inne. / Erläuterung durch Saar-Nostalgie)
V.
Auf allen Gebieten,
auf denen das Statut nicht ausdrücklich
die Zuständigkeit des Kommissars vorsieht,
sind die Regierung und die Organe der Saar
ausschließlich zuständig.
VI.
Die politischen Parteien,
die Vereine, die Zeitungen und die öffentlichen
Versammlungen werden einer Genehmigung nicht
unterworfen.
Sobald das Statut
durch Volksabstimmung gebilligt ist, kann
es bis zum Abschluss eines Friedensvertrages
nicht in Frage gestellt werden.
Jede von außen
kommende Einmischung, die zum Ziele hat,
auf die öffentliche Meinung an der
Saar einzuwirken, insbesondere in Form der
Beihilfe oder der Unterstützung für
politische Parteien, für Vereinigungen
oder die Presse, wird untersagt.
VII.
Nimmt die Saarbevölkerung
das gegenwärtige Statut durch Volksabstimmung
an, so hat dies nachstehende Verpflichtungen
für die Saar zur Folge: a) Die Saarregierung
muss die Bestimmungen des Statuts einhalten;
b)
es
muss alles Erforderliche geschehen, damit
die verfassungsmäßigen Organe
der Saar an der saarländischen Verfassung
die durch die Annahme des europäischen
Statuts notwendig gewordenen Änderungen
vornehmen; c) die Saarregierung hat innerhalb
einer Frist von drei Monaten nach der Volksabstimmung
die Wahl eines neuen Landtags
herbeizuführen.
VIII.
Die Regierungen der
Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs
verpflichten sich, das Statut der Saar bis
zum Abschluss eines Friedensvertrages aufrechtzuerhalten
und zu garantieren.
Die beiden Regierungen
werden die Regierungen des Vereinigten Königreichs
und der Vereinigten Staaten von Amerika
bitten, eine gleichartige Verpflichtung
einzugehen.
IX.
Bestimmungen über
die Saar in einem Friedensvertrag unterliegen
im Wege einer Volksabstimmung der Billigung
durch die Saarbevölkerung; diese muss
sich hierbei ohne irgendwelche Beschränkungen
aussprechen können.
X.
Die in Artikel I
vorgesehene Volksabstimmung findet drei
Monate nach Inkrafttreten der Bestimmungen,
die im ersten Absatz von Artikel VI vorgesehen
sind, statt.
XI.
Die beiden Regierungen
werden gemeinsam alle Anstrengungen machen,
die notwendig sind, um der saarländischen
Wirtschaft Entwicklungsmöglichkeiten
im weitesten Umfange zu geben.
XII.
A - Die Grundsätze,
auf denen die französisch-saarländische
Wirtschafts-Union gegenwärtig beruht,
werden in ein Abkommen über wirtschaftliche
Zusammenarbeit aufgenommen, das zwischen
Frankreich und der Saar abgeschlossen wird
und den folgenden Bestimmungen Rechnung
trägt.
B - Bezüglich
der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der
Saar ist das Ziel zu erreichen, gleichartige
Beziehungen zu schaffen, wie sie zwischen
Frankreich und der Saar bestehen. Dieses
Ziel ist fortschreitend in der Blickrichtung
auf die sich ständig ausweitende deutsch-französische
und europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit
zu verwirklichen. Auf dem Währungsgebiet
bleibt die derzeitige Regelung bis zur Schaffung
einer Währung europäischen Charakters
in Kraft.
Die fortschreitende
Erweiterung der wirtschaftlichen Beziehungen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Saar darf die französisch-saarländische
Währungsunion und die Durchführung
des französisch-saarländischen
Abkommens über die wirtschaftliche
Zusammenarbeit nicht in Gefahr bringen.
Dabei ist so vorzugehen,
dass die Errichtung einer Zollgrenze zwischen
Frankreich und der Saar nicht erforderlich
wird. Der etwaigen Notwendigkeit, bestimmte
Zweige der Saarindustrie zu schützen,
ist Rechnung zu tragen.
C - In nächster
Zeit werden Maßnahmen zur Erweiterung
des Wirtschaftsverkehrs zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Saar getroffen, um dem
Bedarf beider Länder an den Erzeugnissen
des anderen Landes Rechnung zu tragen.
D - Zwischen Frankreich,
der Bundesrepublik Deutschland und der Saar
werden Abkommen geschlossen, um die in den
Absätzen B und C niedergelegten Grundsätze
zu verwirklichen.
In diesen Abkommen
ist der Notwendigkeit Rechnung zu tragen,
dass die Bilanz des laufenden Zahlungsverkehrs
zwischen dem Gebiet des französischen
Franken und der Bundesrepublik Deutschland
nicht schwer beeinträchtigt wird; hierbei
sind jedoch die Gegebenheiten des Wirtschaftsverkehrs
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Saar zu berücksichtigen.
E - Die Saar wird
für die Verwaltung sämtlicher
Kohlenvorkommen der Saar einschließlich
des Warndt sowie der von den Saarbergwerken
verwalteten Grubenanlagen Sorge tragen.
XIII.
Die beiden Regierungen
werden den übrigen Mitgliedregierungen
der Europäischen Gemeinschaft für
Kohle und Stahl empfehlen, den Sitz dieser
Gemeinschaft nach Saarbrücken zu legen.
XIV.
Das vorliegende Abkommen
wird dem Ministerrat der Westeuropäischen
Union übermittelt, damit dieser es
zur Kenntnis nehmen kann.
Die beiden Regierungen
werden die anderen Mitgliedsregierungen
der Westeuropäischen Union bitten,
diejenigen Bestimmungen des vorliegenden
Abkommens zu billigen, die ihrer Zustimmung
bedürfen.
Paris, den 23. Oktober
1954. gez. Adenauer
, gez. Mendès France
Zusatzvereinbarungen:
In einem
anlässlich der Verhandlungen
über das Saarstatut geführten
Briefwechsel
teilte Pierre Mendès France dem deutschen Bundeskanzler Adenauer
unter dem Datum vom 23. Oktober 1954 Folgendes mit:
1)
Im Laufe der Besprechungen,
die wir über die Regelung der Saarfrage
geführt haben, haben Sie die Frage
der Zulassung von Filialen deutscher Banken
und von deutschen Versicherungsgesellschaften
an der Saar angeschnitten.
Ich beehre mich,
Ihnen mitzuteilen, dass die für die
Zulassung von Banken zuständigen französischen
Behörden die Anweisung erhalten werden,
etwaige Anträge der deutschen Banken
in einem Geiste der Zusammenarbeit zu prüfen.
Ferner wird sich
die französische Regierung mit der
saarländischen Regierung mit dem Ziele
ins Benehmen setzen, dass diese etwaige
Anträge deutscher Versicherungsgesellschaften
ebenfalls in einem Geiste der Zusammenarbeit
prüft.
2)
Im Laufe der Besprechungen,
die wir über die Regelung der Saarfrage
geführt haben, haben Sie die Frage
der an der Saar noch bestehenden Sequester
angeschnitten.
Ich habe die Ehre,
Ihnen mitzuteilen, dass diese Sequester
vor der Volksabstimmung über das europäische
Statut der Saar aufgehoben werden.
3)
In einem Schreiben an den saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann teilte Pierre Mendès France diesem unter dem Datum vom 23. Oktober 1954 Folgendes mit (eine Abschrift sandte er auch an Konrad Adenauer):
Mit
Ihrem heutigen Schreiben haben Sie mich wissen lassen, dass die
Vertreter der Saarregierung im Grubenrat unverzüglich die Weisung
erhalten werden, gemeinsam mit den Vertretern der französischen
Regierung folgende Maßnahmen zu treffen:
a) Die Personalangelegenheiten
und sozialen Fragen werden stets einer dem
Vorstand der Saarbergwerke angehörenden
saarländischen Persönlichkeit
anvertraut werden.
b) Es werden alle
in Betracht kommenden Maßnahmen getroffen
werden, um den Anteil der Saarländer
an dem mit Verwaltungs- und technischen
Aufgaben befassten Personenkreis auf allen
Stufen der organisatorischen Gliederung
der Saarbergwerke zu steigern.
Diese Maßnahmen
werden im Rahmen der von der französischen
Regierung verfolgten Politik getroffen,
der Saar fortschreitend die volle Verantwortung
für die Gruben auf allen Gebieten zu
überlassen.
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